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Schon im März klang es eher sarkastisch, wenn Bundesrat Alain Berset von einer «Entschleunigung aufgrund der Einschränkungen» sprach. Ja, unser Radius ist kleiner geworden, die Strassen und Geschäfte leerer. Doch, die neue Realität verlangt uns viel geistige Flexibilität ab. Geliebte Rituale brauchen plötzlich neue Abläufe, neue Medien und neue Vorbereitungen damit sie weiterhin stattfinden können. Und das trifft so auch auf das anstehende Weihnachtsfest zu. Wir fühlen uns daher gerade häufig nicht besinnlich entschleunigt, sondern noch gestresster als normalerweise zu dieser Zeit. Wir haben uns darum etwas umgehört und einige Tipps gesammelt, die helfen sollen, ein entspanntes, wenn auch vielleicht anderes Weihnachtsfest zu erleben.

Priorisieren und entsprechend handeln

Gerade rund um das Fest der Liebe tönt ein Ausdruck wie «Prioritäten setzen» sehr harsch. Wir wollen doch allen unsere Zuneigung, unsere Dankbarkeit und Liebe schenken. Doch, wenn uns dieses Jahr etwas gelernt hat, ist es eine neue persönliche Klarheit darauf was wirklich wichtig ist. Es ist nicht wichtig, dass alle unsere Bekannten am 24. ein handgeschriebenes Kärtchen oder ein kleines Geschenk im Briefkasten haben. Es ist wichtig, dass wir Menschen, die uns wichtig sind, immer wieder mit unserer Aufmerksamkeit beschenken. An Weihnachten also nur einigen, wenigen Menschen Aufmerksamkeit – und dafür ungeteilte – zu schenken, reicht daher vollkommen aus. Das Neue Jahr wird auch wieder 365 Tage haben, an denen Sie genügend Zeit und Ruhe haben jedem lieben Menschen in ihrem Leben etwas Zeit zu schenken.

Virtuelle Weihnachten anstatt komplizierte Zusammentreffen

Wer dieses Jahr Weihnachten wie immer feiern möchte, braucht dafür schon fast ein Projektmanagement-Tool. Wie lange sollten die Abstände zwischen den einzelnen Treffen sein, um Tante Frieda im schlimmsten Fall nicht doch anzustecken? Kann man eine Vorquarantäne in Betracht ziehen? Wessen Stube ist gross genug, um mit Abstand zu zehnt drin zu sitzen? Müssen die Kinder in die Quadratmeter-Berechnung einbezogen werden? Trifft man sich mit Maske für eine Stunde oder mit Suppe und Würstli im Wald? Und was, wenn es dann regnet? Wer das alles nach BAG-Vorgaben planen und umsetzen möchte, hat bis Weihnachten ein stressiges Leben.Wir haben uns daher darauf geeinigt, dass die erwachsenen Geschwister mit je einem alleinlebenden Verwandten physisch Weihnachten feiern werden. Damit wir uns aber dennoch alle an Weihnachten sehen, haben wir eine virtuelle Weihnachtsfeier auf Zoom geplant. Noch so eine Videokonferenz? Wir sagen: Kommt halt darauf an, was man daraus macht. Jeder erhält im Vorfeld ein «Weihnachtspäckli» mit Prosecco, Liedtexten, einer Packung unserer Traditions-Guetzli und ein Kärtchen mit einem beliebigen Wort drauf, das dann in seinem oder ihrem Teil der Familien-Weihnachts-Kettengeschichte vorkommen muss. Überdies gab es im Vorfeld ein Post-Weihnachtswichteln. Wir werden also gemeinsam Geschenke auspacken, singen, Guetzli essen, anstossen und uns eine Geschichte erzählen. Schönster Nebeneffekt: Unsere Verwandtschaft aus den USA kann seit Jahren auch wieder einmal dabei sein.

Neue Weihnachtsrituale

Vielleicht ist dieses Jahr auch die Zeit einmal ein paar Rituale zu hinterfragen. Warum machen wir das eigentlich seit Jahren so? Weil wir es total lieben oder weil es schon immer so war?
Wir haben dazu in unserem Umfeld viele schöne, neue Rituale gehört – und auch vom Loslassen «alter Zöpfe».«Der Familien-Guetzli-Wettbewerb hat mich schon immer gestresst und meine Familie mag eh drei Sorten am liebsten. Darum gibt es dieses Jahr nur diese drei Guetzli. Total gemütlich gebacken mit den Kindern – ganz ohne Schönheits-Anspruch.»«Ich habe mit meinen Kindern dieses Jahr einen umgekehrten Adventskalender gemacht. Wir wollten keinen Weihnachtsgeschenkestress, aber dennoch vielen Leuten eine Freude machen. Wir haben 24 Namen auf kleine Zettelchen geschrieben und in einen Topf gelegt und 24 kleine Aktivitäten auf Zettelchen in einen anderen. Jeden Tag durften sie einen Namen und eine Aktivität ziehen. Wir hatten jeden Tag so ein gemeinsames Projekt, haben jemandem unerwartet eine Freude gemacht und viel über den ursprünglichen Gedanken von Weihnachten gelernt.»Haben Sie dieses Jahr auch ganz bewusst mit alten Ritualen gebrochen und neue gefunden?

Hygge leben

Komischerweise feierte der Hygge Trend, der in den letzten Jahren von Dänemark zu uns schwappte, dieses Jahr kein grosses Revival. Doch gerade in so herausfordernden Zeiten wie diesen, wäre etwas mehr von dieser dänischen Lebensphilosophie so wichtig. Es geht dabei um mehr Gemütlichkeit, den Augenblick zu geniessen und Glücksmomente zu erleben. Purer Sarkasmus sagen Sie? Wir sagen: Wenn wir zulassen Glück und Gemütlichkeit im Kleinen zu finden, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dazu.Wir haben darum selbst mit einem alten Weihnachtsritual gebrochen. Bisher wurde die Weihnachtsdeko immer erst frühestens am 20. Dezember aus dem Keller geholt. Dieses Jahr haben wir am 1. Dezember alle Kisten hochgeholt, Punsch gemacht und einen ganzen Nachmittag mit den Kindern das Haus nach ihren Vorstellungen dekoriert. Definitiv kein «schöner Wohnen» Konzept. Aber total glückliche Kinder, wir entdecken jeden Tag an einem neuen Ort eine kleine Deko, die sie liebevoll im WC oder bei der Kaffeemaschine platziert haben. Kleines Glück. Den Augenblick geniessen.